DER MAGIER
aus "Vom Narren zum Erleuchteten" aus dem Buch "MISTERIUM TAROT" von Alla Alicja Chrzanowska

Achte darauf auf, kein Schüler der Schwarzmagie zu werden.
Auf seiner Wanderung lernte der Mensch alles kennen, was ihn umgibt: das Umfeld, in dem er leben muss, die die Welt beherrschenden Gesetze, Regeln, denen man sich unterordnen muss und Dinge, die man zum eigenen Vorteil nutzen kann. Kurz gesagt das, was ihm bis dahin verschlossen war, hörte nach und nach auf ein Geheimnis zu sein. Der Wanderer begann zu verstehen, was die mächtigen Elemente sind, die ihn so erschreckten und er bemühte sich, sie für seine Bedürfnisse zu nutzen. Es erfreute ihn, dass das Feuer Wärme gibt, erhitzt und erlaubt schmackhaftes Essen zuzubereiten anstelle zu verbrennen und zu erschrecken; daß das Wasser, das zuvor den schützenden Ort überschwemmte, leere Felder mit ausreichend Nahrung bereichert, die man nun nicht mehr unter Lebensgefahr erobern muß; daß die Luft, die Stürme und Hurricans trug, nun Mühlen bewegt, um Korn für Brot zu mahlen; und dass die Erde, die unter den Füßen bebte und die provisorischen Schutzunterkünfte zuschüttete, nun begann Nahrung zu gebären, Tiere zu füttern und dass man auf ihr Häuser errichten konnte, die Schutz vor Gefahr boten, dass sie dank dessen zum Symbol für Besitz und Reichtum wurden.
Der Mensch begann, sich auch in sich zu vertiefen, und dies brachte ihn dazu, auch die Geheimnisse seiner Seele zu entdecken. Er verstand, dass sich die mächtigste Macht genau in ihr befindet. Er nahm das größte Recht seiner Psyche an, die davon spricht, daß sie ewig, nicht zerstörbar ist, dass in ihr unbegrenzte Lager an Möglichkeiten und Kräften blühen. Zum ersten Mal fühlte er, wieviel er tun kann, wie unbegrenzt seine Möglichkeiten sind. Dies stieg ihm zu Kopf. Er begann über sich zu denken: "Ich bin mächtig, ich bin der Herr der Welt, ich bin der MAGIER." Er meinte, sich alles erlauben zu können und die einzigsten Barrieren, die vor ihm stehen, wären die, die er sich selbst gebaut hat.
Sehr schnell vergaß er, wie er sich als NARR auf Wanderschaft befand, wie er sich fürchtete, nichts wußte, keine Erfahrung hatte und nicht die herrschenden Gesetze der ihn umgebenden Welt verstand. Während er sich mit Mühe die anfänglichen Elemente des Wissens aneignete, spürte er die Selbstsicherheit und die in seinem Innern verdeckte Kraft. Er rief sich als Herr und Erschaffer der Welt aus. Er begann, immer größere und schönere Häuser zu bauen, seinen Körper mit immer teureren Kleidern zu bedecken, sich mit Juwelen zu zieren, sein Wissen auszunutzen und es vor anderen Menschen geheimzuhalten. Er handelte so, um daraus einen meßbaren, materiellen Nutzen zu ziehen. So also erbarmte sich der gnädige Gott seines recht wehrlosen Geschöpfs und gab ihm Wissen, damit es sich wehren könne, aber als dieses das Wissen besaß, versuchte es es sofort zu materialisieren, nannte es Magie, verlangte von seinen Stammesbrüdern Bezahlung für ihren Besitz und ihre Anwendung im Leben.
Und so erschien der Magier-Wissenschaftler auf der Bildfläche, der Wissen über die in der Natur vorkommenden Gesetze, die Regeln von Ursache und Wirkung - nach dem Grundsatz "wie oben, so auch unten" erlangte. Er beobachtete Himmel und Menschen, und da er zu Schlußfolgerungen in der Lage war, häufte er Erfahrungen an, und wußte, wann er Körner zu säen hatte, damit die Ernte gut gerät, wann der Fluß über die Ufer tritt, um die ausgetrockneten Felder zu bewässern, wann auf die Jagd zu gehen ist, um Lagerhäuser zu bevorraten und wie die gezüchteten Tiere zu vermehren sind.
Er wusste, wo gutes Holz und Steine zur Hauserrichtung zu suchen und wie Edelmetalle zu fördern sind, um sie dann umwandeln zu können in Geräte zum Bau, Ackerbau sowie zur Herstellung von Waffen, die das Gefühl der Sicherheit erhöhten.Ebenso hervorragend verstand er das Verhalten der Menschen sowie ihre Furcht und er vermochte sie materiell auszunutzen. Er wurde der Wichtigste in seinem Stamm und der Reichste, aber er bezahlte dafür einen riesig hohen Preis, den man nicht materiell bemessen kann, den Preis der Einsamkeit, des Kontaktes mit dem Geheimnis, der belastenden Verantwortung und dem dauernden Stehen vor der notwendigen Wahl, die er in sich vollbringen musste: soll er sich auf das Gute oder auf das Böse berufen, die zu gleichen Teilen seine Seele erfüllten? Eben durch seine Wahl entstand die Teilung in schwarze und weiße Magie.
So also sind die Geheimnisse nicht für alle ein Geheimnis, für den MAGIER werden sie zur Einweihung, für die übrigen - etwas Entsetzliches, Unbekanntes, aber dank der Betreuung durch den ersteren nicht so gefährlich, wie das im Falle des NARREN war. Die Menschen begeben sich gern unter die Obhut des MAGIERS, sie glauben ihm ohne Vorbehalt und vertrauen seiner Klugheit. Ist es doch so angenehm, die Verantwortung für die eigenen Probleme auf jemanden anderen zu schieben. Und der MAGIER vermochte sie anzunehmen, indem er sich bemühte, in sich und in der Welt die Kräfte der vier Elemente auszugleichen. Er war aufmerksam und beobachtete nicht nur die ihn umgebende Welt, sondern auch den Kosmos. Und dies, sofern es ihm gelang, Gleichgewicht zu erlangen und zu halten, war abhängig von der Wahl, die er in seinem Innern traf und davon, ob er in seinem Herzen Demut bewahrte.
Die Welt wird angeeignet, aber sie ist noch nicht ohne Gefahren, und Gott schaut vom Himmel darauf so wie wir Menschen auf unsere im Sandkasten spielenden Kinder schauen und wenn das Verhalten der Menschen Seine Gesetze überschreitet, ruft er sie zur Ordnung. Der MAGIER ist ausreichend intelligent, um sich bewusst zu sein, dass er nicht auf alles Einfluss hat, dass sein Wissen, obwohl es sich ständig erweitert, keine vollkommene Gestalt annimmt. Nach und nach keimt in ihm der Gedanke, daß es jemanden gibt, der die Welt beherrscht, vielleicht sogar das Universum, jemand, von dem bedeutend mehr abhängt als von ihm. Er versucht, sich mit seinem Flehen und mit den Bitten der Menschen seines Stammes an Ihn zu wenden. Mehr oder weniger gelungen kreiert er das, an was er glaubt, er wirkt auf der Erde oder sucht im Himmel das Ebenbild des ihm gegenüber mächtigeren Wesens - das Gottes. Er kommt zur Schlußfolgerung, daß die Menschen einen besonderen Vermittler mit so einem mächtigen Wesen brauchen, jemanden, der sich ausschließlich mit diesem Kontakt beschäftigt, und so tritt eine Person aus der Mitte der Stammesmitglieder hervor, genannt DIE HOHEPRIESTERIN.



Text©Alla Alicja Chrzanowska